Politikwechsel statt Wahlkampfshow - Eine andere Welt ist möglich!

Am 14. September in Köln

Gleiche Rechte für MigrantInnen

Miltiadis Oulios und Kalliopi Gialama, Kanak Attak



Es gibt Lehrerinnen und Lehrer in diesem Land, die erklären ihren Schülern, wie die Bundestagswahl in Deutschland funktioniert – aber sie selbst dürfen nicht wählen. Es gibt Menschen in diesem Land, die pflegen Alte. Aber sie selbst können nicht zum Arzt gehen, weil sie keine Papiere haben. Es gibt Kinder in diesem Land, die immer noch auf die schlechteren Schulen geschickt werden, weil sie keinen deutschen Namen haben. Es gibt Menschen in diesem Land, die werden für ihre Arbeit nicht bezahlt. Weil sie sonntags auf der falschen Baustelle, im falschen Bordell oder im falschen Restaurant gearbeitet haben.

Wir von kanak attak rufen zu einer Kampagne für ein Recht auf Legalisierung auf. Im folgenden wollen wir euch einladen, das Recht des Aufenthalts in Deutschland auf völlig neue Füße zu stellen. Wir akzeptieren nicht mehr den Begriff „Ausländer“ – wir leben hier, wir bleiben hier, wir gehören hierhin. Und wir wollen darlegen, von welchem Punkt aus der Rassismus praktisch bekämpft werden kann. Nämlich vom Widerstand der Kanakinnen und Kanaken aus.

In Deutschland leben heute mehr als eine Million Menschen, die keine gültigen Aufenthaltspapiere in der Tasche haben. Ob es einigen passt oder nicht. Auf der anderen Seite leben acht Millionen Menschen in Deutschland, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Aber im Ausländergesetz steht „Aufenthaltsvorbehalt“. Das bedeutet: Auch diesen 8 Millionen kann unter Umständen das Aufenthaltsrecht streitig gemacht werden. Selbst wenn man hier geboren ist.

In jeder kanak-Community haben die Leute Bekannte oder Verwandte, die den seltsamen Zustand, „Ohne Papiere“ zu sein, nur allzu gut kennen. Aber: Man ist nie illegal, man wird dazu gemacht. Und viele profitieren davon. Der Prozess, mit dem Leute „illegal“ gemacht werden, findet nicht nur an der Grenze statt. Er läuft vor allem quer durch unser Land.

Das sind Studenten, die nach ihrem Studium entscheiden, in Deutschland zu bleiben. Touristen, die sich verlieben und hier leben wollen. Leute, die ihren Arbeitsplatz verlieren und ausgewiesen werden sollen. Die aber trotzdem hier bleiben in ihrem sozialen Umfeld. Freunde, die die selbe Zeit in Deutschland leben, aber in EU- und Nicht-EU-Bürger geteilt werden. Asylbewerber, die im Annerkennungsverfahren erniedrigt und dann abgelehnt werden und sich das nicht gefallen lassen, in dem sie untertauchen. Flüchtlinge, die hier leben, aber nicht ihre Stadt verlassen dürfen und es trotzdem tun. Menschen, die hier wohnen aber nicht arbeiten dürfen. Menschen, die hier arbeiten, aber nicht wählen dürfen.

Schließlich bringt das neue Zuwanderungsgesetz neue desolate Lebensbedingungen. Wenn es Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt, wird der Titel der Duldung wegfallen. Und dann werden auf einen Schlag eine halbe Million Menschen illegalisiert.

„Illegalisierung“ – bedeutet Entrechtung. Es ist die Tatsache, dass man Einwanderern ihre Rechte verweigert. Und das beginnt immer noch mit der Idee, dass man eigentlich nicht das Recht hätte, in Deutschland zu leben. Wie illegal war ich eigentlich, als ich 16 Jahre alt wurde und zur Ausländerbehörde musste, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen? Dabei bin ich hier geboren.

Der deutsche Staat erzeugt verschiedene Stufen der Rechtlosigkeit – auch für die, die schon lange Papiere haben. Gleichzeitig aber schaffen es die Gesetze nicht, zu verhindern, dass Menschen selbst entscheiden, wo sie leben wollen. Es gibt die Autonomie der Migration. Die Gesetze können nicht verhindern, dass die Leute hier sind, aber sie versuchen ihnen das Leben schwer zu machen. Sie wollen sie kontrollieren, um sie unten zu halten. Dieser Versuch muss zunichte gemacht werden. Denn er errichten Hürden. Manche haben nicht einmal ein Recht auf Aufenthalt. Andere haben nicht das Recht, ihren Job frei zu wählen. Wieder andere haben zwar beides, aber keine politischen Rechte.

Und wenn wir Rechte fordern, heißt es, wir sollen uns erst mal integrieren. Wir wenden uns gegen den Begriff der Integration. Wenn von Integration geredet wird, dann um über Diskriminierung zu schweigen. Wir lassen uns aber nicht vorschreiben, wie wir zu leben haben. Wir lassen uns nicht demokratische Rechte von so genannten kulturellen Unterschieden abhängig machen.

Wenn der deutsche Staat heute Integration fordert, versucht er unsere gemeinsamen Kämpfe unsichtbar zu machen. Statt kollektiver Rechte soll sich jeder einzeln anpassen, um willkürlich belohnt zu werden. Rechte aber sind das Ergebnis von Kämpfen und nicht von Anpassung. Und die Einwanderer haben von Anfang an für ihre Rechte gekämpft. Sie haben in den Siebzigern gestreikt für gleiche Löhne und als erste Häuser besetzt, um besser wohnen zu können. Sie sind hier geblieben, als der Staat ihnen in den Achtziger Jahren Geld gab, damit sie weggehen. Und die Kanaken haben in den Neunzigern dafür gesorgt, dass in ihren Vierteln Nazis keine Chance haben, und dann hieß es, wir schotten uns ab in den so genannten Ghettos.

Wir stellen uns daher nicht in einen luftleeren Raum. Die heutigen Kämpfe der Migrantinnen und Migranten sind die Fortsetzung einer Tradition. Und sie beginnen im Alltag. Jedes Mal dort, wo der deutsche Staat seine Kanaken nicht kontrollieren kann. Und deshalb ist das Recht auf Legalisierung die Bedingung für einen neuen politischen Prozess. Das ist genau das, wovon der Staat nicht reden will, und womit er immer mehr umgehen muss.

Kanak Attak geht es darum, in dieser historischen Situation selbstbewusst endlich wieder Grundsatzfragen zu stellen, offensiv zu werden. Lasst uns über das Aufenthaltsrechts reden. Alle Menschen, die ihren Aufenthalt in Deutschland legalisieren wollen, sollen dazu eine grundsätzliches Recht erhalten.

Kanak Attak fordert: Die Bürgerechte müssen daran gekoppelt werden, wo wir leben, nämlich am Wohnort. Politische Rechte: wie Wahlrecht, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit dort, wo wir leben. Soziale Rechte: wie den gleichen Zugang zu Arbeitsplätzen, zu Bildung und besseren Wohnungen, dort wo wir leben. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit.

Die Globalisierungskritik darf nicht die Augen davor verschließen, unter welchen rassistischen Bedingungen Migration passiert. Jede Kritik am Kapitalismus ist nur fortschrittlich, wenn sie nicht nationalistisch wird: für einen Mindestlohn kann man nur kämpfen, wenn auch jene Arbeiterinnen und Arbeiter berücksichtigt werden, die bislang weder einen Anspruch darauf haben, noch legal dafür kämpfen können.

Der politische Prozess für ein Recht auf Legalisierung und die Koppelung politischer Rechte in Deutschland am Wohnort ist die Antwort auf den Versuch, uns zu verwerten und unten zu halten. Wir sagen: Wenn Globalisierung - dann die Globalisierung von Rechten. Die Globalisierung von gleichen politischen und sozialen Rechten. Wir laden euch ein, diese Perspektive zum gemeinsamen Ziel unserer Kämpfe zu machen.

Kanak Attak!